Der erste Engel des Weges

Ich bin noch auf dem richtigen Weg. Heute war die erste Jakobsmuschel an einem Wegweiser. An alle Nicht-Jakobspilger: Diese blauen Aufkleber mit einer gelben Muschel stammen nicht von Auswärtsfans des FC Muschelwitz.

Es sind Hinweise auf einen der vielen Jakobswege in Europa, die sich alle in Santiago de Compostela treffen. Aber das nur am Rande.
Man kann an Engel glauben oder man kann es lassen. Geflügelte weibliche Wesen in weißen Nachthemden sind mir jetzt auch noch nicht entgegen gekommen. Und ob Engel etwas mit dem lieben Gott zu tun haben oder nicht – ich weiß es nicht. Aber heute ist mir wieder einer begegnet.

Und wenn man Engel treffen will, Engel, die sich manchmal in den unscheinbarsten Gestalten verstecken, dann trifft man sie auf dem Jakobsweg.

Vor elf Jahren erschien mir ein solcher Engel in Gestalt eines spanischen Treckerfahrers. Aber dazu muss ich kurz ausholen.

Wir waren zu dritt, meine Frau, ihre Tochter und ich, auf dem Jakobsweg unterwegs. Auf der Etappe nach Artieda hatten wir uns komplett verschätzt bezüglich der Weglänge, der Hitze und der Strapazen. Zwar hatten wir noch ordentlich Wasser gebunkert, aber die Sonne brannte gnadenlos vom Himmel. Schatten war zwischen den aragonesischen Felder nicht zu finden. Nachdem auch der letzte Tropfen aufgebraucht war, kapitulierten meine Frau und ihre Tochter. Mir war klar, wenn wir nicht schnellstens irgendwoher Wasser bekommen, kriegen wir ein Problem.

An einem der wenigen schattigen Plätze haben sich die beiden hingesetzt und sind nicht mehr weiter. Ich habe den Rucksack abgestellt, alle leeren Wasserflaschen gepackt, die wir bei hatten und bin los mit der Ansage: Ich hole Wasser und rette Euch!

Nach zwei Kilometern stand linker Hand eine Viehtränke, in die ein Wasserschlauch mündete. Durst hin oder her, aber Wasser aus dem Viehschlauch und man bezahlt die Lösung des einen Problems ganz schnell mit einem anderen. Auf gemeinen Magen-Darm-Kram hatte ich keine Lust, zudem in nicht allzu weiter Entfernung auch ein Gehöft zu sehen war. Da würde es mit Sicherheit Wasser geben. Dort angekommen, musste ich feststellen, dass der einzige Mensch, der zu sehen war und der von meiner Anwesenheit Kenntnis nahm, ein junger Mann war, der wohl eine geistige Behinderung hatte. In radebrechtem Spanisch und mit Händen und Füßen machte ich ihm mein Anliegen klar und drückte ihm die leeren Flaschen in die Hand. Kurze Zeit später kam er zurück: Eine Flasche war voll, die anderen noch leer. Aber besser als gar nichts.

Ich also so schnell wie möglich mit meinem Wasser zurück zu den Frauen. Die waren zum Glück noch am Leben, ich aber nach dem Hin und Her etwas fertig. In solchen Situation neige ich eher zum Rauchen als zum Trinken, und so habe ich Ihnen gesagt, sie sollten schon mal vorgehen, ich fröhne noch dem Tabak und hole sie dann ein.

Ein paar Minuten später bin ich los und nach 20 Minuten komme ich zu besagter Viehtränke, an der beide stehen und aus dem Wasserschlauch trinken. Mein Aufschrei des Entsetzens muss noch in Madrid zu hören gewesen sein. „Alles kein Problem. Eben wie wir hier angekommen sind, kommt ein Bauer mit seinem Trecker, hält an, steigt ab und trinkt aus dem Schlauch. Er versicherte uns, dass es Trinkwasser sei“, sagte meine Frau. Was folgte war eine ausgiebige Dusche unter dem Schlauch.

Und jetzt die Preisfrage: War dieser spanische Treckerfahrer ein Engel? Ich konnte ihn nicht fragen, weil er längst schon wieder weg war, als ich an der Tränke ankam.
Und heute, elf Jahre später, fahre ich mit dem Rad aus Celle. Hatte gerade eine große Tasse Milchkaffee und ein Stück Kirschkuchen gegessen, um ein wenig gegen diese echte gemeine Kälte zu machen. Wie ich an einer Ampel stehe, kommt von hinten eine Radfahrerin des Wegs, die mich fragt, wo ich herkomme und wo ich hin will. Beim Wort Santiago bekam sie große Augen. Spontan fragte sie mich, ob ich bei ihr eine heiße Tasse Tee haben wolle und sie könne mir auch was Warmes kochen. Nun hatte ich gerade Kaffee und Kirschkuchen. Aber allein durch das Angebot zeigte sie mir: Sie ist der erste Engel dieses magischen Weges. 

Liebe Kathrin, danke für Dein Angebot und Deine Mail.

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