In der Zivilisation angekommen

So eine große Stadt ist dann doch was anderes, als ein kleines Dorf in der Meseta. Und wie schon so oft, war es beinahe ein Kulturschock, mit den Gegebenheiten der Zivilisation zurecht zu kommen. Aber der Reihe nach.
Galicien hatte mich gestern mit galizischem Wetter begleitet. Nebel, Sprühregen, 18 Grad. Aber pünktlich am Stadtrand von Santiago war Schluss mit dem Schmuddelwetter. Dafür waren die letzten paar hundert Meter durch die Stadt aber richtig für den Arsch. Und zwar wortwörtlich. Haben die hier ein Kopfsteinpflaster.

So ein richtiges Hochgefühl wollte dann vor der Kathedrale nicht aufkommen. Ich war halt da. Andere auch. Ich habe noch ein paar Takte mit einem Radfahrer aus den Niederlanden und einem aus Köln gesprochen, die ich in den vergangenen Tagen kennengelernt habe. Nette Kerle.

Nach dem obligatorischen Begrüßungsbier bin ich dann in das Hotel, das ich per booking.com gebucht hatte.

Beiläufig, und eher rhetorischer Natur, fragte ich beim Einchecken, wo ich denn mein Fahrrad lasse könne. Es entwickelt sich ein Dialog, der fernsehreif war.

Señora: „Nein, das Fahrrad können Sie hier nicht unterstellen.“

Pilger (erstaunt): „Wie, ich kann das Fahrrad nicht unterstellen?“

Señora: „Wo haben Sie denn auf booking gesehen, dass man hier ein Fahrrad unterstellen kann?“

Pilger: „Danach habe ich gar nicht geschaut. Ich hielt das für selbstverständlich.“

Señora: „Wir sind ein kleines Hotel. Das geht nicht.“

Pilger: „Haben Sie nicht einen kleinen Raum, wo das Fahrrad stehen kann?“

Señor (gesellt sich inzwischen ob der lauter werdenden Stimme seiner Frau dazu): „Sie können das Fahrrad nicht mit aufs Zimmer nehmen. Es ist im zweiten Stock und außerdem zu klein.“

Pilger (Wohlwissend, dass das Zimmer bereits per Kreditkarte bezahlt ist): „Ich will das Rad gar nicht mit auf mein Zimmer ……“

Señora (den Pilger unterbrechend): „Aber wo steht auf booking.com, dass wir Fahrräder unterstellen?“

Pilger (denkt inzwischen daran, was sein Freund Nils jetzt machen würde und wie sich zwei Jahre in einem spanischen Knast wegen Körperverletzung, schwerer Beleidigung, Sachbeschädigung und Brandstiftung anfühlen): „Wie gesagt, ich hielt das für selbstverständlich, deshalb schaute ich nicht danach. Ich dachte, Sie hätten vielleicht einen Raum, wo die Waschmaschine steht und dass da auch mein Fahrrad über Nacht stehen könnte.“

Señora: „Eine Wäscherei ist in der Rua Doctor Teixeira.“

Pilger (so langsam zu der Überzeugung kommend, dass man gute Erziehung auch mal fünf Minuten ad acta legen darf): „Ich brauche keine Wäscherei. Ich brauche einen Platz für mein Fahrrad. Zudem weiß ich, wo in Santiago die Wäscherei ist. Dort wo die Busse zu Flughafen fahren.“

Señora: „Im Bus dürfen Sie kein Fahrrad transportieren. Das geht nur mit einem Taxi.“

Pilger (inzwischen sicher, dass das hier eine Mischung zwischen Kafka und Versteckter Kamera ist): Ja ist gut. Ich habe verstanden. Aber wo kann ich das Fahrrad lassen?“

Señor (sich deeskalierend wieder einmischend): „Sie können es zur Post bringen.“

Pilger (mittlerweile überzeugt, dass die beiden ihre Schuhe auch beim Fleischer kaufen): „Was soll das Fahrrad bei der Post?“

Señor: „Die Post stellt Fahrräder für wenig Geld unter. Das ist kein Problem. Und es ist nur ein paar Minuten von hier.“

Pilger (kapitulierend): „Danke, ich weiß wo die Post ist. Ich werde jetzt mein Gepäck aufs Zimmer bringen und mich dann um das Fahrrad kümmern.“

Señor (voller Stolz): „Ich werde persönlich auf ihr Rad aufpassen, während Sie auf dem Zimmer sind.“

Pilger rennt zweimal die Treppen hoch und runter, um sein Gepäck zu verstauen, kommt wieder unten an, Señor steht wie ein Wachhund neben dem Rad und bittet den Pilger um Entschuldigung. „Wenn Sie wieder da sind, schenke ich Ihnen für Ihre Umstände eine Flasche Wasser. Ganz, ganz kalt.“
Ein solches Entgegenkommen hatte der Pilger dann doch nicht erwartet. Eine ganze Flasche Wasser. Das ist zu viel des Guten.

Ich bin dann übrigens nicht zur Post, sondern zu dem Fahrradladen, der das Rad in ein paar Tagen auch per DHL nach Deutschland schickt. Und da gab es dann auch gleich noch ein neues Fahrradtrikot.

So, und heute dann mal schön die Pilgerurkunde abgeholt. Nach gerade mal 45 Minuten warten, war ich an der Reihe. Und konnte es gerade noch vermeiden, dass die Dame im Pilgerbüro bei der Rubrik „Zurückgelegte Distanz“ 345 Kilometer reinschreibt.

Wenn man aber auch nicht immer auf dem Gewief ist.

7 Kommentare zu „In der Zivilisation angekommen

  1. Gratulation! Es war unglaublich spannend und schön, dich hier „begleiten zu dürfen“! Herzlichen Dank, Chistian und komme nun gesund nach Schwerin zurück. Herzlichst katrin

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  2. Mann, da habe ich aber einen Ruf zu verteidigen. ICh kann auch mal konziliant, ganz bestimmt, aber der Typ in Belgrad kam mir da gerade recht…. komm heile wieder nach hause mein Käpt’n. Bis auf bald…

    NIls, der mit der manchmal kurzen Lunte

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  3. Hey Christian, hab gerade mit großem Vergnügen diesen Dialog gelesen …. großartig !!! Sehr lustig! Und …. cömpliment für dein Durchhaltevermögen …. bin gerade bei der nasenring Aktion. Wird Zeit, dass du heil wieder kommst. Guten Rückflug …. auch für dein Rad 👍😎😜

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  4. Sagen wir mal so: Du bist übermorgen wieder weg. Aber der Senor muss mit der charmanten Senora das Hotelchen betreiben. Vielleicht sogar einen Kredit abzahlen. Und dabei tapfer sein und stolz bleiben. Auch keine leichte Übung.

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