Es hat ein wenig geschliffen mit dem Schreiben. Besserung kann ich nicht geloben, weil ich seit gestern in Santiago bin und – so es die Götter der Fluggesellschaften wollen – morgen Abend wieder in Hamburg.

Da könnte ich nun Bilanz ziehen und das Ganze so langweilig wie einen Dia-Abend machen. Keine Sorge, das wird nicht passieren.
Doch so viel sei gesagt: Die Tour war anstrengender als angenommen. Die 1.000 Kilometer haben wir nicht vollbekommen. Es waren am Ende dann 986 Kilometer. Zum Schluss aber noch 28 Runden um die Kathedrale drehen, war uns zu dumm. Das sieht ja nicht aus. Dass es aber über 15.000 Höhenmeter werden, überraschte mich doch ein wenig. Die ausgetrunkenen Coca-Cola-Büchsen habe ich nicht gezählt. 25 waren es bestimmt. Wo ich sonst pro Jahr vielleicht einen halben Liter Coca-Cola trinke. Egal, bei Sonne, Hitze und müden Beinen wirkt das Zeug wie eine Droge.

Wer die Via de la Plata schon einmal zu Fuß gegangen ist, weiß, dass man tagelang durch nahezu menschenleere Gegenden kommt und gerade wenn man alleine unterwegs ist, die Einsamkeit am Anfang sehr schön ist, aber nach ein paar Wochen ganz schön an einem zehren kann. Zu Fuß dauert es gerne sieben Wochen von Sevilla nach Santiago. Wir sind das mit den Rädern jetzt in zwölf Tagen gefahren. Da fliegt die Welt manches Mal am Radfahrer im Eiltempo vorbei.

Die rasanten Abfahrten nach der Grenze zu Galicien gehen da schon mal mit 50 Sachen.
Nur haben die Götter vor den Geschwindigkeitsrausch natürlich den Schweiß des Anstiegs gesetzt. Am Pass nach Galicien waren wir auf 1.400 Metern. Das hört sich jetzt nicht viel an, aber es waren jeden Tag 1.000 Höhenmeter und mehr. Über mangelnde Kondition kann ich mich nun also nicht beschweren.

Bei dem Tempo bleibt natürlich nicht viel Zeit, sich mit der ganzen Kultur zu beschäftigen, die da rechts und links am Wegesrand steht. Da die da zum Teil aber schon seit 2.000 Jahren steht, gehe ich mal davon aus, dass sie das auch noch ein paar Jahre länger tun wird. Und dann kann man ja immer noch mit dem Flugzeug nach Santiago fliegen, sich ein Auto mieten und sich das alles in Ruhe anschauen. Auch so mit Baedecker-Reiseführer (die gebundene Ausgabe) und so.
Dann kann man sich schön in Mérida die alten römischen Bögen anschauen, in Cáceres eine Stadtführung durch die Altstadt machen und wird dort nicht von der Realität so eingeholt wie wir.

Dort standen nämlich in der Altstadt lauter noch abgedeckte nachgebaute historische Holzkarren, auf dem Plaza Mayor haben Arbeiter eine große Bühne aufgebaut und es wurden jede Menge Kabel verlegt. Naiv wie wir waren, dachten wir, dass da am Wochenende so eine Art Mittelaltermarkt stattfinden wird.

Ja Flöttepiepen.
Zwei Tage später haben wir von einem anderen Wanderer gehört, dass die ganze Innenstadt am Samstag abgesperrt war und er natürlich entsprechend sauer.
Die Stadt Cáceres benötigt wohl dringend Geld und hat deshalb die Altstadt einer Netflix-Disney-Wasweißich-Produktionsgesellschaft zur Verfügung gestellt, die da so etwas wie den 250. Teil von Games of Thrones drehen. Ja Glück gehabt, dass wir kurz vor der Sperrung da waren. Da hätte uns der Baedecker auch nicht weitergeholfen.

Ebenso wie bei den vielen geschlossenen Herbergen. Die am Stausee hinter Cáceres ist auch immer noch dicht. Ich habe nicht herausgefunden, woran das liegt. Sind es Unstimmigkeiten in der Lokalpolitik wegen der Bewirtschaftung, haben private Betreiber die Coronazeit nicht überlebt, weil da natürlich kein Mensch unterwegs war oder lohnt es sich schlicht und einfach bei den wenigen Pilgern auf der Via de la Plata nicht?
Wir haben in den geöffneten Herbergen zehn oder zwölf andere Menschen getroffen. Geht man davon aus, dass da vielleicht drei Herbergen im Ort waren, haben sich also knapp 35 Leute auf der Via de la Plata an einem Ort befunden. Heißt, dass täglich auch diese 35 Menschen von der Via de la Plata in Santiago ankommen.

Insgesamt treffen derzeit aber in Santiago täglich über 1.600 Pilger ein. Rechnet man die paar, die den portugiesischen Weg oder den Camino del Norte gehen ab, kommt der überwiegende Teil vom Camino Frances. Da sind dann in den kleinen Ortschaften jeden Tag 1.500 Menschen, die ein Bett wollen, gefüttert werden wollen, Wasser verbrauchen und Abwasser produzieren.
Aber mit den 35 Hanseln auf der Via de la Plata lässt sich kein Geld verdienen. Also Herbergen zu.
1.600 am Tag in Santiago täglich, heißt pro Monat knapp 48.000. Schönen guten Tag auch.

Zu Fuß können die geschlossenen Herbergen ein richtiges Problem werden. Mit dem Fahrrad ist man flexibler.
Spätestens nach der Extremadura war aber alles besser und es gab genügend Übernachtungsmöglichkeiten. Plasencia, Don Blas in Fuenterobles sowieso, Salamanca, Montamarta, Puebla de Sanabria, Vèrin, Ourense – überall hat es sehr gut geklappt. War auch dringend notwendig, denn nach den teilweise sehr knackigen Anstiegen, hätten wir keine Lust mehr auf stundenlange Unterkunftssuche gehabt.

In Santiago war es ein wenig problematischer. Aber schließlich sind wir etwas außerhalb in einem Hostal namens Thostal untergekommen, das wirklich sehr empfehlenswert ist. Modern, gut ausgestattet und günstig.
Die Stadt ist voll mit Pilgern, Reisegruppen und Partymenschen. Vor der Kathedrale spielen sich die üblichen Szenen ab: Sich umarmende Pilger, Menschen die ihr Rad in die Höhe halten und sich dabei fotografieren lassen, kreischende 25-jährige Männer, die häufig aussehen wie Chris McCandless aus „Into the Wild“, noch mehr kreischende 25-jährige Frauen, Menschen, die sehr fromm und verbittert aussehen, die meisten laufen krumm und schief, tragen Bandagen, haben übel aussehende verbrannte Hautteile, Tätowierungen werden gerade bei den Jüngeren sehr gerne genommen – ein buntes, eigenartiges Volk, was sich da über den Platz bewegt.
Wir haben zum Glück weder gehumpelt noch haben uns Sonnenbrände gepeinigt. Mit Ausnahme von zwei platten Vorderreifen an Nils Fahrrad, die aber in einer Viertelstunde repariert waren, hat uns kein Unglück heimgesucht.

Halt, doch noch ein Unglück: Nach meinem letzten Eintrag über die Unsitte des Vorbuchens, den ich auch in der Facebock-Gruppe „Via de la Plata“ gesendet habe, bin ich dort ohne Begründung vorläufig gesperrt worden. Kritik ist da nicht erwünscht. Das ist wirklich ein großer Verlust für mich. Ich weiß nicht, wie ich ohne die Ansammlung Scheinheiliger in der Gruppe weiterleben soll. Mir würde jetzt auch Derberes einfallen. Aber so etwas schreibt man nicht.
Das soll´s gewesen sein. Mit dem Rad wird es garantiert nicht mehr nach Santiago gehen. Zweimal ist genug.
Zu Fuß? Mal sehen. Camino Frances mit Sicherheit nicht. Da ist ein Bummel über den Kurfürstendamm am vierten Adventswochenende entspannter. Via de la Plata ist echt ein harter Brocken. Den muss ich nicht ein zweites Mal gehen. Am Camino Norte haben wir uns einmal versucht und abgebrochen. Vielleicht nochmal den portugiesischen Weg.
Oder dann doch in zehn Jahren für vier Wochen auf dem Weser-Radweg mit dem E-Bike.
Mal sehen. Zumindest braucht es einen neuen Helm. Beim alten hat sich das Innenleben aus Schaumstoff in kleine graue Krümmel aufgelöst, die einem ständig im Gesicht kleben. Er hat jetzt ein neues Zuhause in einer Mülltonne in Santiago.
