Was tun?

Was tun im Winter?

Es ist Anfang Februar und da schreibt man ja im Normalfall ohnehin nicht die langen Pilgerberichte. Mein Respekt gilt allen, die zwischen Oktober und März über den O Cebreiro gehen und sich mit Wind, Wetter und Schneesturm auseinandersetzen. Da muss ich nicht haben. Meine Betriebstemperatur liegt höher.

Nun wenn man schon nicht im Februar von Vergangenem berichten kann, beschäftigt man sich gerne mit Kommendem. Ich gebe zu, auch in diesem Jahr wieder den Versuch unternehmen zu wollen, Spanien unsicher zu machen.

Was tun in der Pandemie?

Das, was 2020 geplant war und ausgefallen ist, nämlich die Via de la Plata von Jerez bis nach Santiago zu fahren, ist auch für dieses Jahr geplant. Die Flüge sind bereits für den Mai gebucht. Mir ist aber auch klar, dass das Vorhaben noch auf sehr unsicheren Füßen steht. Wahrscheinlich werde ich wieder kurzfristig umbuchen müssen. Condor und seiner Corona-Zusatzversicherung für 10 Euro sei Dank.

Wenn man nun also keine Berichte schreiben kann, keine Planungen anstehen, die Wirtshäuser geschlossen sind, was macht man dann? Aufräumen.

Ich werde ein wenig die Bilder auf der Festplatte aufräumen und bei dieser Gelegenheit auch den Blog aktualisieren.

Wenn man selbst schon ein paar Kilometer mit dem Rad oder in den Wanderschuhen hinter sich hat, kommt einem Vieles selbstverständlich vor. 

Ich wundere mich immer wieder, wenn ich in diversen Internet-Foren oder auch bei Facebook schaue, welche Fragen dort gestellt werden. Versteht mich nicht falsch: Keine dieser Fragen ist überflüssig oder gar lächerlich. Es zeigt mir nur, dass es bei vielen Menschen viele Fragen gibt.

Wenn ich ein wenig dazu beitragen kann, Fragen zu beantworten, angehenden Pilgern Befürchtungen und Sorgen zu nehmen, dann soll das gut sein.

Fangen wir also an. Fangen wir so an, wie alle anfangen, die sich entschlossen haben, auf den Jakobsweg zu gehen oder eine andere lange Reise mit dem Rad oder zu Fuß zu starten.

Frage Nr. 1: Kann ich das überhaupt?

Du schaffst das!

Kurze und knappe Antwort: Ja, Du kannst das!

Eine andere Frage ist, ob Du das willst. Aber dazu kommen wir gleich.

Wenn Du nicht unter großen gesundheitlichen Einschränkungen leidest, wenn Du irgendwann im Laufe Deiner Reise in der Lage bist, sieben oder acht Stunden zu wandern oder Rad zu fahren, dann kannst Du das. Wenn natürlich das Knie kaputt, die Wirbelsäule schief oder das Becken krumm ist, hol Dir vorher medizinischen Rat.

Du kannst Dir aber Deinen Weg einteilen. Gerade wer auf dem Camino Frances unterwegs ist, hat entlang der Strecke gefühlt alle zwei Kilometer eine Möglichkeit, Station zu machen. Und für Radfahrer bieten sich auch andere Strecken an. Entlang der Elbe oder am Donauradweg zwischen Passau und Wien, findest Du jede Menge Übernachtungsmöglichkeiten. Niemand ist also gezwungen, jeden Tag 25 Kilometer zu wandern oder 100 Kilometer zu radeln. Wer mit einem solchen Pensum anfängt, ist selbst schuld und wird es nach wenigen Tagen bereuen.

Bevor Du losgehst, sollten Dir aber ein paar Dinge klar sein und Du solltest Dich darauf einstellen, damit Du nicht irgendwann vollkommen frustriert abbrichst und die Heimreise antrittst. Und damit sind wir bei der Frage, ob Du das auch willst.

Du kannst nicht alles planen

Camino Frances – Etappen

Eine lange Wanderung oder eine ausgiebige Radreise sind kein All-Inklusive-Urlaub. Du kannst nicht alles im Voraus planen und wenn Du eine Gewissheit im Laufe Deiner Reise erlangen wirst, dann die, dass alles, was Du planst auch schiefgehen kann.

Du sitzt gerade auf dem Sofa, hast den Reiseführer in der Hand und hältst es für eine gute Idee, alle Herbergen auf dem Jakobsweg vorher zu buchen. Es würde Dir schließlich Ende Februar schon schlaflose Nächte bereiten, wenn Du nicht wüsstest, wo Du die Nacht vom 26. auf den 27. Mai verbringen wirst. Irgendeine Eingebung hat Dir eine Zahl in den Kopf gesetzt, dass Du ja jeden Tag 20 Kilometer gehen kannst. Und so fängst Du an zu planen, immer schön in 20-Kilometer-Schritten, notierst Dir die Ortschaften, schreibst Dir die E-Mail-Adressen der Herbergen auf, checkst noch mal im Netz, ob die auch stimmen – Dein Reiseführer ist schließlich von 2019, da kann sich ja einiges geändert haben. Du schreibst die Herbergen an, teilst Ihnen mit, dass Du gerne in der Nacht von Tag X auf Tag Y bei Ihnen nächtigen möchtest, bist Dir aber nicht sicher, ob sie Deutsch oder Englisch verstehen.

Dann wartest Du tagelang. Aber von der Herberge in Sto. Domingo de la Calzada kommt einfach keine Antwort. Alle haben Dir schon geschrieben, nur Sto. Domingo de la Calzada nicht. Du siehst, wie Dein ganzer Plan mit einer Antwort einer Riesenherberge steht und fällt. Am liebsten würdest Du da anrufen und denen mal erklären, wie man mit der Buchung eines zahlungskräftigen Pilgers umzugehen hat.

Ein Tipp von mir: Lass es! Spar Dir die Zeit.

Und den Zettel, auf dem Deine ganzen Herbergsadressen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen draufstehen, steckst Du am besten ins Altpapier. Dort gehört er hin und Dein Rucksack wird schon wieder ein paar Gramm leichter.

Denn auf Deiner geplanten 12. Etappe wirst Du Sto. Domingo de la Calzada sowieso nicht erreichen.

Es wird entweder zu heiß sein, Du wirst einen Stein im Schuh haben, Du hast in Puente la Reina diesen netten Pilger aus Brasilien kennengelernt, mit dem Du einfach einen Tag die Stadt genießen möchtest. Und willst Du wegen dieses nicht geplanten Pausentages den halben davon damit verbringen, eine Busverbindung zwischen Puente la Reina und Estella zu suchen, damit Du die nächste Etappe überspringen kannst, damit Dein Buchungsplan auch stimmt und Du nicht all Deine gebuchten Herbergen anrufen musst und die Übernachtung um 24 Stunden verschiebst? 

Nein das willst Du nicht? Dann hättest Du auch zuhause bleiben können und Dein kalenderbestimmtes Leben führen können.

Gerade wenn Du auf dem Camino Frances unterwegs bist, wirst Du nie, wirklich nie das Problem haben, eine Unterkunft zu finden. Sieh es mal so: Du kommst durch Gegenden Spaniens, in denen sich sonst Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen. Da ist keine Industrie, keine Dienstleistungsbranche, sind keine internationalen Software-Unternehmen oder große Logistikzentren. Bis vor wenigen Jahren haben die Menschen dort nur und ausschließlich von der Landwirtschaft mehr schlecht als recht gelebt. Und ein paar wenige Ortschaften hatten Glück, dass sie direkt an diesem Camino liegen und von dem Pilgerboom profitieren. Die Ortschaft, die zehn Kilometer – ach was sag ich – zwei Kilometer vom Weg abliegt, hat Pech gehabt. Da kommt keines der 100.000 hungrigen Mäuler vorbei.

Was macht der halbwegs geschäftstüchtige Spanier, der keine Lust mehr hat, vor Sonnenaufgang auf dem Acker zu stehen und nach wenigen Stunden dem Hitzetod nahe zu sein? Genau, er eröffnet eine Bar oder eine Herberge.

Ich bin 2005 das erste Mal den Camino gegangen und 2017 den Weg mit dem Rad gefahren. Was in diesen zwölf Jahren an Herbergen aus der Erde geschossen ist, ist unglaublich. So schnell kommen die Buchverlage gar nicht hinterher, ihre Servicekästen in den Wanderführern zu aktualisieren.

Die Angst, die Nacht hungrig im Freien zu verbringen, muss wirklich niemand haben.

Also verzichte auf die zeitraubende und einschränkende Vorbucherei.

Und noch eines zu all den Planungen, die unnötig sind. Wenn Du erst mal auf dem Weg bist, alles was Du für die nächsten Wochen brauchst im Rucksack oder in den Radtaschen hast, wirst Du ein berauschendes Gefühl von Freiheit spüren. Der Gedanke, morgens aufzubrechen ohne zu wissen, wo Du abends landest, wird Dir zeigen, wie viel unendliche Möglichkeiten ein einziger Tag bietet. Und schließlich hast Du Dich ja für den Jakobsweg entschieden, weil Du irgendeine Erkenntnis gewinnen willst. So sind wir Deutschen. Wir wollen die tiefere Bedeutung in all unserem Handeln sehen. Nur einfach so aus Lust und Laune machen, ist bei uns nicht drin. Das muss ja einen Sinn haben. Ginge es nur darum, Kilometer abzureißen,  könnten wir ja auch vier oder fünf Wochen im Stadtpark im Kreis gehen und nachts in unserem gemütlichen Kuschelbett schlafen.

Dieses Freiheitsgefühl nimmst Du Dir, wenn Du Dich auf einer durchgeplanten Exkursion befindest.

Frage Nr. 2: Will ich das überhaupt?

Niemand sagt, dass das leicht wird.

Du wirst aufgeben wollen, Du wirst heulen, Gründe dafür werden sich finden. Du wirst alleine sein, Du wirst von zu vielen Menschen umgeben sein. Die belgische Pilgerin, die Du jetzt schon mit ihrem Geschnarche die dritte Nacht ertragen musst, geht Dir auf die Nerven. Tagsüber sucht sie ständig Kontakt und quatscht jeden voll, der nicht bei Drei in der nächsten Kirche ist. Du wirst Heimweh haben. Du wirst vom Trubel in der Herberge morgens um vier Uhr in den Wahnsinn getrieben, wenn Du eigentlich noch schlafen willst. Du wirst Dich morgens auf Deiner Matratze fragen, warum Du Dir das antust. Du wirst im Kopf durchgehen, wo der nächste Bus fährt, wie man von hier zum nächsten Flughafen kommt und dass Du mit ein wenig Glück schon übernächste Nacht wieder im eigenen Bett schlafen könntest. Dir werden die Beine wehtun. Wenn nach 20 Kilometern noch einmal sechs Kilometer frisch geteerte pechschwarze Straße kommen und Deine Füße eine gefühlte Temperatur von 50 Grad haben, wirst Du alle Pilgerromantik verfluchen und gedanklich Schadensersatzklagen gegen die Autoren diverser Filme und Fernsehdokumentationen anstrengen.

Das wird alles kommen, sei gewiss.

Hier und jetzt. Das zählt

Und dann wirst Du feststellen, dass Du stärker bist als dieser kleine gemeine Schweinehund in Deinem Hinterkopf. Und Du wirst die Füße in kaltes Wasser stecken, den Tag Revue passieren lassen und merken, dass Du Dinge erlebt hast, die Du Dir nie hast träumen lassen. Du wirst Deinen Pilgerausweis in die Hand nehmen, die vielen Stempel zählen, Dir die kleine Skizze mit der Streckenführung anschauen und voller Erstaunen feststellen, wie weit Du schon gekommen bist und dass Du das alles zu Fuß gegangen bist. Und es wird Dir ein Gefühl tiefer Befriedigung geben. Du wirst Dein Weinglas leeren und Dein einziges Problem wird der Gedanke sein, ob Du noch ein weiteres Glas verträgst. Und dann wirst Du wissen, dass es die beste Entscheidung Deines Lebens war, diesen Weg zu gehen.

Du hast noch nichts von all diesen Wundern gespürt, von denen im Internet geschrieben wird. Du hast nicht die Erkenntnis für den Rest Deines Lebens gefunden, Du wirst in den Dir verbleibenden Jahren kein besserer Mensch sein. Hast Du auch gar nicht vor. Du bist nur hier und jetzt. Und das ist gut.

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