Viele Kühe, viel Wind und manchmal Kaffee

Nun, heute mal ein wenig anders. Die Tour ist seit fast einer Woche zu Ende. Insofern ist das kein Beitrag, der abends mit müden Knochen und kalten Fingern auf dem Zeltplatz geschrieben ist. Viel mehr sitze ich in der warmen Stube, draußen hat der Herbst begonnen und ich freue mich an dem ganz alltäglichen Luxus, wie einem warmen Bett, einer heißen Tasse Kaffee wann immer ich sie will oder der Möglichkeit, barfuß ins Bad gehen zu können ohne dabei erst 200 Meter über die Wiese eines Zeltplatzes zu müssen.

Aber wie immer der Reihe nach. Die erste Nacht auf dem Zeltplatz in Petten, direkt hinter dem Deich an der holländischen Nordseeküste, war noch angenehm warm, da sollten noch kältere Nächte kommen. Morgens allerdings ist das Zelt klamm, die Wiese nass und richtig Spaß macht es nicht, sich aus dem Schlafsack heraus zu quälen.

Zelt und Fahrrad
Ein Mann muss ein Haus bauen

Aber es geht kein Wind, das ist doch schon mal ein gutes Zeichen. Und oh Wunder für einen holländischen Zeltplatz: Man bekommt sogar morgens um halb neun schon einen Kaffee. Ich weiß nicht, ob es da einen Zusammenhang gibt, aber ich habe den Eindruck, je besser die Menschen in ihren Campinganhängern und Wohnmobilen ausgestattet sind, desto schlechter wird die Infrastruktur auf den Zeltplätzen. Warum sollten die auch morgens Kaffee anbieten, wenn der komplett ausgestattete deutsche Camper seinen Kaffeevollautomaten anwirft und aus zehn verschiedenen Sorten Kaffee auswählen kann? Ich habe doch tatsächlich jemanden gesehen, der seine Campingwagen-Chemietoilette nicht zur Entsorgung getragen hat, sondern wie einen Rollkoffer auf Rädern an einem Bügel hinter sich hergezogen hat. Es wird mir auf immer ein Rätsel bleiben, worin der Reiz eines mehrwöchigen Urlaubs auf einem Campingplatz besteht.

Nun gut, Kaffee in Petten und ab auf´s Rad. Und wieder so ein seltsamer Zusammenhang als wenn es im Fahrradsattel einen geheimen Schalter gäbe, von dem nur die Wettergötter wissen. Kaum sitzt man drauf beginnt der Wind. Natürlich von Osten, da wo ich hin wollte.

Lustiges Strandleben

Ein paar Kilometer geht es zunächst nach Norden immer durch die Dünen entlang der Nordseeküste. Das ist ein schöner Weg, vor allem morgens. Im Laufe des Tages werden es immer mehr Radfahrer und dann eben inzwischen vor allem ältere Herrschaften, die nicht mehr die Sichersten auf zwei Rädern sind, aber dafür auf ihren E-Bikes ein halsbrecherisches Tempo auf Wegen mit einer dünnen Sandschicht hinlegen. Da kann einem Angst und Bange werden.

Und kaum bin ich aus den Dünen raus, kommt schon wieder ein Ort mit einem lustigen Namen: Anna Paulowna. Laut Wikipedia nach einer Zarentochter benannt, die vor 150 Jahren den niederländischen König geheiratet hat. Auch mal was. In Deutschland hat es immer nur für einen Auguste-Viktoria-Platz oder ein Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium gereicht. Aber gleich eine ganze Ortschaft ….

Fahrradfahren hat den Vorteil – vor allem, wenn es in einer sehr langweiligen Landschaft betrieben wird – dass man sich über jeden Blödsinn Gedanken machen kann und zu tiefsinnigen Einsichten kommt. Eben zum Beispiel auch darüber, wie in unterschiedlichen Ländern Orte, Straßen, Plätze oder Schulen benannt werden. In jedem spanischen Kuhweiler heißt der größte Platz des Ortes auch wenn er nicht größer als ein Tennisplatz sein mag entweder Plaza España oder Plaza Major. Sehr einfallslos.

Prinses Maijkestraat
Ob die Prinzessin davon weiß?

In den Niederlanden werden auch kleine Seitenstraßen gerne nach Angehörigen des Königshauses benannt. Wäre ich König, würde ich mich entschieden dagegen wehren, dass Nebenstraßen durch Wohngebiete meinen Namen tragen. Die Verantwortlichen würde ich in Festungshaft stecken oder gleich köpfen lassen. Man muss auch mal Zeichen setzen.

Auch Straßen mit dem Namen von Prinzessinnen liegen nicht in mit Rosenduft durchzogenen Gärten, sondern inmitten uniformer Backsteinbauten.

Sei es drum, die Reise ging trotz all dieser existenziellen Überlegungen unaufhörlich weiter nach Nordosten immer dem Wind und dem Abschlussdeich bei Den Oever entgegen. Klar war, dass der Radweg über den Deich gesperrt ist, man aber das Rad per Bus transportiert wird. Alles andere wäre bei diesem Wind auch keine Option gewesen. 32 Kilometer im Gegenwind über den Deich – nie und nimmer. So lautete die Aufgabe: Suche die Bushaltestelle in Den Oever!

Busbahnhof in Den Oever
Busbahnhof in Den Oever

Es gibt dort sogar einen Busbahnhof. Zumindest einen Ort, den Google-Maps als Busbahnhof anzeigt. Was einen dann allerdings erwartet, lässt vor allem dann Zweifel an funktionierender Infrastruktur aufkommen, wenn man der erste Fahrgast vor Ort ist. Der Busbahnhof machte eher den Eindruck einer alten Sowjetbrache im vorpommerschen Hinterland. Die Sorge, mich komplett verfahren zu haben wurde mir aber genommen, als nach und nach immer mehr potenzielle Fahrgäste mit ihren Fahrrädern eintrafen. Gut gelaunt bestiegen bestimmt 15 Radler mit ihren Gefährten den Bus, dessen Fahrer sich durch das Durcheinander aus Räder, Taschen, Helmen und Gurten in keiner Weise aus der Ruhe bringen ließ. Der gute Mann behielt auch noch die Nerven als die Fahrt, die normalerweise in 30 Minuten erledigt ist, wegen eines Staus auf dem Deich über zwei Stunden dauerte.

Buswartehäuschen in Den Oever
Warten auf den Bus, der hier vielleicht nie fahren wird

Ich wurde hingegen leicht nervös als er noch mitten auf dem Deich einen Parkplatz ansteuerte und das nicht etwa um eine seiner vielen selbstgedrehten Zigaretten zu rauchen, sondern um die Fahrgäste zu bitten, auszusteigen. Hinter uns Deich, vor uns Deich, wo zum Teufel waren wir? Meine Annahme, dass der Bus nach Harlingen oder gar nach Leeuwarden fahren würde, wurde nicht bestätigt. Vielmehr befanden wir uns auf Kornwerderzand, der letzten Halbinsel auf dem Deich vor dem Festland. Den Zeltplatz in Leeuwarden konnte ich mir also knicken und der in Harlingen war noch gute zwölf Kilometer entfernt. Flötepiepen mit „Heute nicht mehr gegen den Wind“.

Um es kurz zu machen: Der Zeltplatz war OK, die Nacht war kalt, aber mein Schlafsack warm.

Am nächsten Morgen also weiter über Leeuwarden Richtung Osten.

In den Niederlanden gibt es übrigens ein sehr eigenwilliges System der Beschilderung. Im ganzen Land existieren für Radfahrer so genannte Knotenpunkte. Die sind auch auf der Landkarte verzeichnet. Das System der Nummerierung ist zwar nur schwer oder gar nicht zu durchschauen, aber es funktioniert. Kommt man an einem der Knotenpunkte an, steht dort ein großes Schild mit der jeweiligen Nummer drauf und es gibt Wegweiser, die in die Richtungen der nächsten Knotenpunkte führen. Man muss also nur wissen, dass man als nächstes den Knotenpunkt 34 ansteuern muss und danach 35, 38, 98, 32. Warum die so nummeriert sind, erfordert wohl eingehende Recherchen. Dieses System funktioniert gut, hat aber einen Nachteil: Relativ häufig führen die Strecken von einem Knotenpunkt zum nächsten durch Wohngebiete, Ortschaften, Innenstädte etc. Man könnte das alles wesentlich kürzer haben, aber gewiefte Lokalpolitiker wollten wohl den örtlichen Einzelhandel unterstützen, indem sie die Routen direkt an allen Geschäften vorbeiführten.

Mein Ziel an diesem Tag war ein Campingplatz bei Opende kurz hinter Surhuisterveen. Der hatte allerdings geschlossen und ich musste den nächsten ansteuern. Der hatte zum Glück ein Restaurant, denn sonst wäre es inmitten der holländischen Pampa mit Essen eng geworden. Dafür gab es dann am kommenden Morgen keinen Kaffee. „Die Kaffeemaschine wird erst um 12 Uhr eingeschaltet.“ Das ist doch auch mal eine Aussage.

Galloways
Kühe (diesmal aus Schottland eingewandert) mitten auf dem Weg

Ich wollte an diesem Tag noch unbedingt über die deutsche Grenze. Holland war mir inzwischen zu langweilig. Der Wind war mir egal, aber Kuhstall, Kuhstall, Weide, Kuhstall, Weide, Weide, Kanal….. Das verliert schnell seinen Reiz.

Über Groningen ging es gut voran, nur rechnete ich auf den letzten Kilometern bis Weener in Ostfriesland nicht damit, dass ich dort schon deutsche Radwege befahren musste. Herzlich willkommen zuhause auf schief und krumm stehenden Pflastersteinen, die ordentlich auf das Hinterteil gehen, wenn man schon fast 100 Kilometer in den Beinen hat. Schließlich habe ich es aber noch kurz vor Einbruch der Dunkelheit geschafft, das Zelt aufzubauen und in einem der wenigen Restaurants in Weener etwas zu essen zu kriegen. Ansonsten ist der Ort tot. Aber die Verkäuferin beim Bäcker ist freundlich.

Am Montag bin ich dann nur noch die paar Kilometer bis Leer geradelt und von dort mit dem Zug nach Hause. Was in Ermangelung einer Reservierung und der daraus resultierenden Verpflichtung mit dem Regionalexpress zu fahren, sechs Stunden dauerte.

Ostfriesische Schafe
Ostfriesische Schafe

Was bleibt? Holland ist sicher zum Radfahren ideal, wenn man sich über alles mögliche Gedanken machen will. Die Schweiz ist bergiger und Spanien wärmer. Kühe sieht man viele. Die Landschaft ist nicht gerade abwechslungsreich. Es war ganz nett, gut für die Kondition. Aber nochmal muss ich da nicht hin.

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