Von Eidgenossen und den Relationen des Weges

7,40 Franken für ein Weizenbier, die Speisekarte des Restaurants am Campingplatz geht bei 25 Franken los und einmal Kaffee, O-Saft und belegtes Brötchen im Migros-Restaurant 20 Franken.

Man könnte durch die Schweiz fahren und alle Vorurteile bestätigt sehen. In der französischsprachigen Schweiz verstehe ich die Leute besser als in der deutschsprachigen, was nicht an meinen exorbitant guten Französischkenntnissen liegt.Aber die Schweiz kann auch anders sein. Hervorragend Radwege, exzellent ausgeschildert, freundliche Menschen und tolle Zeltplätze, die auch bezahlbar sind.

Dazu eine umwerfende Landschaft. Auch wenn man bei der so genannten Mittellandroute, die bis nach Lausanne führt und wie gesagt durchgehend perfekt ausgeschildert ist, manchmal ein wenig auf eigene Faust abkürzen muss, weil die Routenplaner es wohl nicht versäumen wollten, bei der offiziellen Routenplanung den einen oder anderen Aussichtsberg mit ins Programm zu nehmen. Aber mit der wahnsinnigen App „Swissmobil“ ist die Abkürzerei kein Problem.

Liebe deutsche Tourismusplaner, schaut Euch diese App an, schaut, wie man es machen kann und tretet den halbscharigen Kram, den Ihr ins Netz stellt in die Tonne.

Neuchâtel ist wie viele Orte in der Schweiz so gelegen, als wenn der liebe Gott sich zum Abschluss der globalen Landschaftsgestaltung noch einmal ganz viel Mühe gegeben hätte. Ein traumhafter See, eine traumhafte Promenade und wenn es nicht so warm und dadurch auch dunstig wäre, hätte ich von hier aus einen Blick auf die Alpengipfel. Aber vielleicht bietet der Morgen ja mehr.

Eine Radfahrerin fragte mich heute morgen im Überholen, wo ich auf meinem Weg nach Santiago losgefahren wäre. Dass ich dahin will, hat sie wohl an der Muschel erkannt, die an meiner Satteltasche hängt. Das ließ mich auf einen Gedanken kommen.

Selbstverständlicher Weise wird zu Beginn einer solchen Tour immer gefragt, wo man hin wolle. Der Mecklenburger, der Niedersachse und zumindest der nicht-katholische Nordrhein-Westfale kann mit dem Symbol der Muschel nicht viel anfangen. Natürlich wird einen in Spanien auf dem Jakobsweg keiner fragen, wo man hin will. Das ist dann klar.

Spannend finde ich die Frage, wann der Moment kommen wird, an dem das wechselt. Wann lautet die Frage nicht mehr wohin, sondern woher.

Das ist in etwa so, wie Kinder natürlich auch immer in der Zukunft denken. Frage einen Vierjährigen, was er mal werden will und er sagt fünf. Ein Siebzehnjähriger wartet sehnlichst darauf, 18 zu werden, den Führerschein zu machen und abends so lange weggehen zu dürfen, wie er will.

Eine 89-Jährige denkt zu großen Teilen in der Vergangenheit. Das Wohin spielt für sie natürlicherweise keine so große Rolle mehr. Ihre Pläne, was sie noch alles veranstalten will, halten sich in Grenzen.

Ähnlich ist das auf so einer Reise. Die Abfahrt von Zuhause, obwohl es gerade mal etwas mehr als drei Wochen her ist, liegt in Gedanken schon ewig zurück. Ich weiß nicht, ob ich die Hälfte der Strecke schon geschafft habe, also dem Ziel näher als dem Ausgangspunkt bin. Ich glaube nicht, der Tacho zeigt gerade ein wenig mehr als 1400 Kilometer an. Das wird noch nicht die Hälfte sein, wenn ich bedenke, dass es von der spanischen Grenze noch mehr als 900 Kilometer bis Santiago sind.

Deshalb denke ich momentan sowohl an das Ziel, grübele über Kleinigkeiten, die ich in Santiago machen werde, dass ich mir einen Waschsalon suchen muss und wie ich ein halbwegs scharfes Selbstportrait vor der Kathedrale hinbekomme. Über die bisherige Fahrt denke ich eigentlich nur in der Form nach, dass ich an bestimmten Orten dachte, schon unheimlich weit gekommen zu sein. Bis Soest mit dem Fahrrad, ja meine Fresse. Jetzt bin ich in der Westschweiz und denke: meine Fresse bis Neuchâtel mit dem Fahrrad. Soest ist dagegen wie ein Wochenendausflug. 

So verschieben sich Relationen, Wertigkeiten und Leistungen. Auch das lehrt eine Pilgerreise.

Ein Kommentar zu “Von Eidgenossen und den Relationen des Weges

  1. ach, wie schön, dass es schon wieder etwas zu lesen gibt … habe schon kurz an dich gedacht heute … von mir aus kann diese Tour noch Mo-na-te dauern. Ich find´es so spannend, das ein wenig miterleben zu dürfen. Mache mir tatsächlich schon selber Gedanken über eine Auszeit. liebe Grüße

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