B’schiss kommt auf de Tisch

Heute muss ich ein wenig in die Vergangenheit abschweifen. Wenn wir als Kinder auf dem Bolzplatz bei Stuttgart Fußball spielten, kam es wie bei den Großen immer wieder zu umstrittenen Spielsituationen.

Selbstverständlich gehörte dazu ein verhängter Elfmeter. Endlose Diskussionen, die das eine oder andere Mal auch in Handgreiflichkeiten ausarteten, folgten. Wurde der Elfmeter dann schließlich geschossen und ging daneben, hieß es von der bestraften Mannschaft nur lapidar: „B’schiss kommt auf de Tisch.“ Will heißen: Der Elfmeter war unberechtigt und eine höhere Macht hatte dafür gesorgt, dass die Entscheidung des inkompetenten Schiedsrichters (das war immer der kleine Junge mit der dicken Brille, den keiner in seine Mannschaft gewählt hatte) keine Folgen hatte.
Warum dieser Ausflug in die philosophischen und spirituellen Anwandlungen schwäbischer Achtjähriger?

Nun, beim Pilgern ist es ähnlich. Beschiss kommt auf den Tisch. Denn heute wollte der Pilger mal betrügen.

Gestern hatte ich auf dem Zeltplatz beschlossen, dass eigentlich mal wieder ein Tag Pause der Seele und den Beinen gut tun würde und deshalb über booking.com ein Hotelzimmer für zwei Nächte in Avignon gebucht. Und um den Betrug komplett zu machen mich entschlossen, die 120 km mit dem Zug nach Avignon zu fahren. Das sei mir gestattet.

Aber dann kam die höhere Macht ins Spiel. Ich wollte mit dem Rad nach Porte de Valence und dort den Zug nehmen. Stellte aber fest, dass die SNCF ähnlich wie die Deutsche Bahn in den vergangenen Jahren etliche Regionalbahnhöfe geschlossen hat. Also zurück nach Valence. Das waren zwar nur sieben Kilometer, aber es nervt, einen Weg zurück zu fahren, den man einen Tag vorher schon hingefahren ist.

Ein Ticket war schnell gekauft. Wegen meiner zunehmenden Frankophilität war es mir einfacher mit dem Mann am Ticketschalter zu sprechen, als den Fahrkartenautomaten zu verstehen. Nun wird in Frankreich zwar viel Wert auf Barrierefreiheit gelegt, das gilt aber nicht für die Bahnhöfe. Alle Taschen ab, zweimal die Treppen runter, das Fahrrad hinterher und an Bahnsteig E das Ganze wieder treppaufwärts.

Kaum waren die Taschen, das Rad und der Pilger im Zug, gingen die Waggontüren hinter mir auch schon zu. Einer entspannten Fahrt nach Avignon und einem bezaubernden Nachmittag stand nichts mehr im Wege. Nichts? Da gab es doch diese höhere Macht, die sich sagte: „Junger Freund, so wird aber nicht gepilgert. Ich will Deinen Schweiß auf dem Asphalt sehen und den Geruch von heißgelaufenen Bremsbelägen riechen. Meine Freude an Deinen Steuerkünsten auf Kieswegen haben und Dich auf der letzten Rille am Ziel ankommen sehen.“

Und höhere Mächte sind stärker.

Fünf Minuten hinter Valence blieb der Zug stehen. Und stand und stand und stand. Aus dem Lautsprecher kamen irgendwelche Ansagen, die ich aber bei aller Frankophilität nicht verstand. Vielleicht war der Zugführer Kanadier oder Belgier. Die haben ja so einen Akzent.

Eine Stunde stand er da, bis er wieder zurück nach Valence gefahren ist. Wie mir dann ein junger Mitreisender auf Englisch erklärte, hatte sich da wohl jemand vor den Zug (also nicht unseren, den davor) geworfen. Liebe höhere Macht, zu solchen Mitteln greift man nicht. Das hast Du nicht nötig.

Also stehe ich wieder auf dem Bahnsteig in Valence. Mal sehen wie es weitergeht. B’schiss kommt ebbe doch auf de Tisch.

2 Kommentare zu „B’schiss kommt auf de Tisch

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